Tourtagebuch / Cuxhaven & Stade (23. Tag)

SalilouTour-Tagebuch

DER KULTUR-TRUCK

Tourtagebuch

06.06.2021

Cuxhaven & Stade (23. Tag)

Hannes sagt, „wir sollten noch nach Cuxhaven, ich hab ein gutes Gefühl“. Also ziehen wir nach Cuxhaven. Eine Stadt aus Klinkersteinwohnsiedlungen und der Rathausplatz – der nicht am Rathaus liegt – ist eine Grünfläche umzingelt von solchen geklinkerten Siedlungshäusern und leider von vielen Hundebesitzern als öffentliche Hunde-Toilette benutzt. Und das alles menschenleer. Ein halbnackter Mann fragt aus dem Fenster, was wir hier zu suchen haben und unsere Erklärung kommentiert er „Kultur? Das brauchen wir hier nicht.“ Auf Hannes Antwort: „Du lebst doch auch Kultur, die Freikörperkultur“, weiß er nichts mehr zu sagen. Wir lernen Tomo kennen. Er macht sich gerade auf den Weg zu einer anderen Versammlung, die fast zeitgleich in Cuxhaven stattfinden wird. Es geht um Demokratie und Freiheit. Er hat eine Kamera und einen Blog. 

Er nennt sich selbst augenzwinkernd einen „rechtsradikalen und antisemitischen“ Kroaten. Das sind die beiden Negativ-Schubladen, die Kritikern der aktuellen Politik heutzutage üblicherweise widerfahren. Davon erzählen uns die Menschen auf der Straße nahezu täglich.

Er berichtet von seinem Einsatz und von Versammlungen mit Körperverletzung. Ein Mann, der sich viele Sorgen macht um die aktuellen Einschränkungen der Grundrechte.

Ein ebenso freundliches sowie ausführliches Gespräch führen wir mit den beiden jungen Polizisten, die unsere Versammlung begleiten. Aus ihrer Perspektive erscheinen der Mann und die erwähnten Versammlungen in einem anderen Licht. Die Körperverletzungen seien den Polizisten zugefügt worden. Wieder spüren wir die tiefe Spaltung und wie aufgrund unterschiedlicher Informationen bzw. Wahrheiten Aggressionen entstehen. Wir spüren die Hilflosigkeit auf beiden Seiten. Gleichzeitig zeigen die Gespräche, dass sich beide wieder nach Freiheit sehnen und nach einer ausgewogenen Politik. Ein Grund mehr unseren Kultur-Truck für einen Dialog und eine erneute Wiedervereinigung der Menschen fortzusetzen. Die Ansprache machen wir vor der leergefegten Rathauswiese. Was soll’s, wir kochen auch mal nur für uns. Es ist ohnehin Mittagszeit. Die Polizei ist sichtbar angetan von unserem Auftritt. Zitat des Polizisten auf die Frage eines Passanten, ob hier wieder so ein paar Leute krakelen „Nein, nein, das sind gaanz liebe Leute“. Wie auch immer, eine eigenartige Stimmung hinterlässt der Cuxhaven-Besuch. Auf dem Weg nach Stade macht der Zombie Escaper noch einen Abstecher zum Deich. Wir wollen das Meer sehen, den Kopf durchpusten lassen und Hormonüberschüsse im Wagen abbauen. Das tut gut! Unser nächster Stop ist ein Privatevent in einem hübschen Garten in Hollern-Twielenfleth bei Verwandtschaft von Samia. Das hebt die Stimmung und wir genießen ein Konzert ohne Polizeischutz und dazu gibt es leckere Burger. Die Fahrt durchs „Alte Land“ zu unserem Nachtlager auf einem Obsthof ist besonders hübsch und wir fragen uns, warum hier im Norden alle Häuser geklinkert sind. Liegt es an der Meeresluft? Weißes Fachwerk und dazwischen geklinkert ist wirklich beeindruckend. Das Feierabendbier gibt’s heute an der Kirschbaumplantage. Fazit: Irgendwie sind wir alle doch wie ein Klinkerhaus….wenn ein Stein fehlt oder aus der Reihe tanzt, ist es nicht schön, hält aber vielleicht grad noch so. Wenn eine ganze Reihe fehlt, ist’s mit der Stabilität echt rum.