DER KULTUR-TRUCK
Tourtagebuch
18.06.2021
Hameln (35. Tag)
Mit Schweißperlen im Nacken aufzuwachen, weil die Hitze langsam ins Wohnmobil kriecht, erinnert an Urlaubstücken, die man eben in Kauf nimmt, wenn man in den Süden fährt. Wir sind Mitten in Deutschland und die Sonne brennt vom Himmel. Ein Segen, dass wir gestern Nacht direkt am See geparkt haben und so ist die Abkühlung in greifbarer Nähe. Das tut gut! Und dann versuchen wir uns einfach so wenig wie möglich zu bewegen und zeitgleich im Schatten aufzuhalten. Micha unterstützt uns dabei, denn gemeinsam mit seiner Arbeitskollegin besucht er uns an unserer Campbase und liefert frische Frühstücksbrötchen, die wir dann gleich gemeinsam vertilgen. Micha und seine Frau Diana (auch eine Lahnstein-Freundschaft) sehen wir nachher mit ihrer Familie auf dem Hameler Rathausplatz wieder. Und auch Marc (ebenfalls ein Lahnstein-Kontakt und Backkursfreund) treffen wir dort. Was für eine schöne Réunion. Der Wasserspielplatz ist direkt nebenan und dort ist auch der Treffpunkt für allerlei Nationalitäten und Gesinnungen. Ein buntes Miteinander oder Nebeneinander. Als die Polizei am Versammlungsplatz eintrifft, schreit ein Mädchen laut „Pozilei“ und plötzlich rennt ein Pulk Menschen in alle Himmelsrichtungen weg. Dabei wollen die netten Kollegen doch nur mit dem Versammlungsleiter sprechen, der aber noch auf sich warten lässt. Also warten sie auch und wir versuchen uns zwischenzeitlich mit der Stimmung im Park vertraut zu machen, die irgendwie eigenartig ist. Ein Mann probiert uns, während er auffällig seinen Ring durch die Finger schnipsen lässt, mit bestimmerischen Phrasen Angst einzujagen. Wir vermuten er kann nichts dafür, weil seine Zunge von einer Krankheit geleitet wird. Ein komisches Gefühl hinterlässt es doch. Der Rathausplatz in Hameln ist auch nicht wie sonst oft üblich mitten in der Stadt, sondern vor den Toren der Altstadt und damit auch ein bisschen ausgegrenzt. Und so fühlen wir uns heute auch: Ausgegrenzt von der Welt dort drinnen und hierher bestellt in die Welt „vor dem Tore“. Auf der Versammlung lernen wir viele spannende Charaktere kennen. Zum Beispiel Patrick, ein stadtbekannter Einwohner mit Behinderung, der gerne mal über den Durst trinkt, dann oft von den Hamelern Busfahrern heimgefahren wird und wenn sie ihn dann vor seiner Haustür wecken, sagt er „Hey, immer so ein Stress am Schluss“. Auch Stefan mit dem muskulären Körperbau von Querdenken Hameln ist gekommen und erfreut sich an Musik, Paella und dem gemeinsamen Gespräch. Der junge Beamte des Polizisten-Duos setzt bei der Umsetzung der Coronarichtlinien auf gesunden Menschenverstand und weiß, dass es nicht möglich ist, immer Dienst nach Vorschrift zu machen. Als nach der Versammlung die Polizei sich verabschiedet, kommen immer mehr Punks aus dem Park zu uns auf den Platz. Alle werden mit Paella versorgt und sie bedanken sich für die schöne Musik und das leckere Essen. Der Punkhund Hermine von Paddy Tonja Trashman spielt mit dem Babyhund von unserer Freundin Diana. Ein friedliches Miteinander ist zu spüren, ein wirklich bunter Haufen und das erste Mal auf dieser Tour haben wir das Gefühl, dass der Satz „wir verschenken an kulturell & sozial Bedürftige“ hier in beiden Fällen seine absolute Berechtigung findet. Jeder dieser Menschen hat seine ganz eigene persönliche Geschichte und das ist gut so. Anschließend trauen wir uns nochmal einen Blick in die Altstadt zu werfen. Hameln ist wirklich charmant. Ein Fachwerkhaus hübscher als das andere. Als Marc uns mit langem Schritt durch die Stadt führt, fühlen wir uns ein bisschen wie in der Rattenfängergeschichte. Vielleicht hat Hameln aufgrund dieser Legende auch diesen besonderen Geist, dass das „bunte Volk“ vor der Stadt leben muss, weil es herausgeführt wurde. Wieder ein paar Fragen mehr, die wir auf den Berg Fragen packen, den wir bisher schon anhäufen durften. Wie auch immer, Marc führt uns u.a. an einer Eisdiele vorbei und dann auch wieder aus der Stadt heraus zu unseren Fahrzeugen. Lieben Dank, Marc, für diesen sehenswerten Rundgang.
Lieben Dank an Micha & Familie, dass Ihr den Weg zu uns auf Euch genommen habt. Noch schnell ein Abschiedsfoto und wir versuchen in der Abendluft wieder ein paar Kilometer Strecke hinter uns zu bringen. In Holzminden finden wir einen schönen Stellplatz. Beim Feierabenddrink bekommen wir einen Rüffel vom Nebenfahrzeug. Wir fühlen uns wie bei der Klassenfahrt früher im anderen Zimmer ertappt und trollen uns dann so langsam ins Bett. Fazit: Lasst uns Tore öffnen und Ausgrenzungen aufheben, der Frieden liegt in der Gemeinschaft.